Unfairer 'Fair Use'? – Eine kritische Auseinandersetzung nach dem KI-Urteil

Zwischen Kerzenschein und Serverlicht: Diese symbolische Darstellung zeigt den fundamentalen Bruch zwischen klassischer Autorenschaft und KI-generierter Textproduktion. Links ein Gelehrter unter den Säulen von Locke und Hegel, rechts ein gesichtsloses KI-Wesen vor den Logos globaler Tech-Konzerne – getrennt durch eine leuchtende Kluft aus Lava , die für die Zerstörung des geistigen Eigentums steht. ©digibooverlag.com

Ein Gericht in Kalifornien hat jüngst im Streit zwischen Autoren und dem KI-Unternehmen Anthropic geurteilt. Es hat eine juristische Linie gezogen, die zwischen der Nutzung legaler und illegaler Datenquellen für das KI-Training unterscheidet. Doch diese Entscheidung, so bedeutsam sie für die unmittelbar Beteiligten sein mag, ist nur ein Symptom. Sie ist das Oberflächenbeben, das auf eine tiefgreifende tektonische Verschiebung in den Fundamenten unseres Kulturverständnisses hinweist.

Um zu begreifen, was hier wirklich auf dem Spiel steht, müssen wir die juristische Ebene verlassen und zu den Wurzeln unseres Denkens über geistiges Eigentum zurückkehren. Warum empfinden wir einen Text überhaupt als Eigentum eines Autors? Die Antworten darauf stammen von Denkern, die unsere moderne Welt geformt haben, allen voran John Locke und Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Ihre Argumente sind heute relevanter denn je.

Die Argumentation von John Locke: Eigentum durch Arbeit

Lockes Argumentation ist pragmatisch. Seine Logik lässt sich in drei Schritten auf einen Text anwenden:

  1. Die Welt als Gemeingut: Die Sprache und allgemeine Ideen gehören ursprünglich allen.

  2. Die Aneignung durch Arbeit: Durch deine geistige Arbeit (Recherche, Formulierung, Stil) "vermischt" du deine Anstrengung mit dem Gemeingut und schaffst so etwas Neues.

  3. Das Ergebnis als Eigentum: Dieser spezifische, formulierte Text wird durch deine Arbeit zu deinem Eigentum, so wie ein gepflückter Apfel dir gehört.

Lockes Argument in einem Satz: Der Text gehört dir, weil deine geistige Arbeit ihn aus dem Meer der allgemeinen Ideen herausgehoben und zu etwas Konkretem gemacht hat.

Die Argumentation von G. W. F. Hegel: Eigentum als Verwirklichung der Persönlichkeit

Hegels Ansatz ist metaphysisch. Es geht ihm um die Verwirklichung des menschlichen Willens.

  1. Der Wille will in die Welt: Um eine wirkliche Person zu sein, muss der menschliche Wille sich in der Aussenwelt manifestieren.

  2. Eigentum als Stufe der Verwirklichung: Eigentum ist der erste und einfachste Weg, den eigenen Willen in einem Ding zu vergegenständlichen und es zu einer Erweiterung seiner selbst zu machen.

  3. Der Text als reinster Ausdruck des Geistes: Ein Text ist die vielleicht reinste Form dieses Prozesses – eine direkte Vergegenständlichung deines Geistes, deiner Gedanken und deiner Persönlichkeit.

Hegels Argument in einem Satz: Der Text gehört dir, weil er nicht nur etwas ist, das du gemacht hast, sondern weil er eine direkte, sichtbare Manifestation dessen ist, was du bist.

Die Perversion dieser Ideen durch KI und Kapitalismus

Diese philosophischen Grundlagen werden nun von einer unheiligen Allianz aus künstlicher Intelligenz und einem entfesselten Kapitalismus frontal angegriffen. Das Ziel der Tech-Konzerne ist nicht kultureller Austausch, sondern die Maximierung von Profit. Und dieser Antrieb pervertiert die ursprünglichen Ideen von Locke und Hegel auf allen Ebenen:

  1. Die Perversion der Arbeit durch industrielle Enteignung: Lockes Idee der persönlichen Arbeit wird durch die Profitgier von Konzernen wie Meta, Google und Co. ad absurdum geführt. Die KI inhaliert Millionen von Büchern nicht aus einem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse heraus, sondern weil nur diese unfassbare Datenmenge die billionenschweren KI-Modelle ermöglicht. Die individuelle Schöpfung des Autors ist nicht mehr Lohn für seine Mühe, sondern wird zum unbezahlten, rohen Kapital für fremde Bilanzen. Das ist die Perversion von Lockes Idee: Die Arbeit des Einzelnen dient nicht mehr seinem eigenen Wohlstand, sondern dem Milliardenprofit eines Konzerns.

  2. Die Entseelung der Persönlichkeit zur Profitmaximierung: Hegels Modell des Werks als Ausdruck des Willens bricht zusammen, wenn das Produkt allein dem Zweck der Monetarisierung dient. Der KI-generierte Text ist nicht nur eine leere Hülle ohne Persönlichkeit; er ist eine instrumentalisierte Leere, geschaffen, um menschliche Interaktion zu simulieren und daraus Daten und Geld zu extrahieren. Das ist die Perversion von Hegels Idee: Der "Geist" des Autors wird nicht nur ignoriert, er wird zur Ware zermahlen.

  3. Die systematische Unsichtbarkeit als Geschäftsmodell: Die Auslöschung der Herkunft ist kein technischer Nebeneffekt, sondern ökonomisches Kalkül. Indem die Spuren zu den ursprünglichen Autoren verwischt werden, entledigen sich die Konzerne jeglicher Vergütungspflicht. Diese gewollte Herkunftslosigkeit ist die Voraussetzung für die Umwandlung des geistigen Eigentums von Millionen in das Finanzkapital von wenigen. Es ist eine der grössten und leisesten Enteignungen der Geschichte.

Die hier aufgeworfenen Fragen sind keine akademischen Gedankenspiele mehr. Sie sind zur unmittelbaren Realität für jeden Verlag, jeden Autor, jeden Kulturschaffenden geworden. Die Antworten, die wir als Gesellschaft darauf finden, werden die Bedingungen für die Entstehung von Literatur und Kunst im 21. Jahrhundert definieren.

Zur Vertiefung: Ein Literaturverweis

Die in diesem Beitrag aufgeworfenen Fragen nach dem fehlenden Verstehen und der Herkunftslosigkeit maschineller Texte finden ein starkes Echo in der Arbeit des Übersetzers Ettore Mjölsnes. Seine Kritik an der maschinellen Übersetzung aus der Praxis eines professionellen Übersetzers heraus ist eine direkte thematische Fortsetzung der hier angestellten Überlegungen.

Mjölsnes argumentiert, dass die eigentliche kulturelle, kognitive und sprachliche Leistung des Übersetzens in den Vorgängen liegt, die dem Endprodukt vorausgehen – ein "Hinterland", wie er es nennt, das den Text mit Sinn auflädt. Fehlt dieser Entstehungshintergrund, wie es bei der Maschine der Fall ist, bleibt selbst eine fehlerfreie Zeichenfolge eine leere Hülle, die auf nichts ausser auf sich selbst verweist. Die Maschine, so seine zentrale These, produziert einen letztlich stummen Text.

Für alle, die tiefer in die spezifische Problematik der Sprache und der maschinellen Übersetzung eintauchen möchten, sei diese Publikation dringend empfohlen.

Ettore Mjölsnes

Der stumme Text. Eine Kritik der maschinellen Übersetzung

Paperback, 76 Seiten

ISBN: 978-3-03906-030-6

(Ende des zu kopierenden Textes)

Weiter
Weiter

„Digitaler Minimalismus mit Langzeitwirkung – Eine Hommage an die stille Stärke von WordPress“